Der Weltladen ist wieder geöffnet – und hat in den Ferien etwas erlebt!

Eine Tour zu lauter Unikaten
Von Peter Dietrich
Jedes Jahr erkunden Engagierte aus den rund 900 Weltläden in Deutschland eine andere Region und ihre Weltläden. Diesmal führte die „Tour de Fair“ per Fahrrad zum ersten Mal in den Kreis Esslingen
Wendlingen/Köngen/Nürtingen.
„Damit habe ich Deutschland kennengelernt“, sagt Manfred Trenkle aus Murg bei Bad Säckingen. Wenn seit 2002 die jährliche „Tour de Fair“, startete, war er in den allermeisten Fällen dabei. Diesmal war er der wohl südlichste Teilnehmer – der nördlichste kam aus Oldenburg, die östlichste Teilnehmerin aus Frankfurt an der Oder. Für jedes Jahr wird jemand gesucht, der sich in einer Region und bei deren Weltläden gut auskennt, schon mal bei der „Tour de Fair“ dabei war und die einwöchige Tour organisieren kann. „Ich war im Saarland so begeistert, dass ich mich ganz weit aus dem Fenster gelehnt und die Tour zu uns geholt habe“, sagt Gudrun Leibold vom Weltladen in Kirchheim. Die ersten Nächte war die Gruppe im Bildungszentrum Deula in Kirchheim untergebracht, von Freitag auf Samstag dann in der Jugendherberge in Bad-Cannstatt – ein guter Startpunkt für die letzte Etappe zum Weltladen in Schorndorf.
Jeder Weltladen ist anders
Es gibt Drogerieketten, die überall exakt gleich aussehen. Das ist genauso wirtschaftlich wie langweilig. Bei den Weltläden hingegen ist jeder ein Unikat. „Jeder Laden ist anders, im Schnitt, in der Lage, im Sortiment“, sagte Eva-Maria Aicher aus Tettnang. Das erlebte die Gruppe auch am Donnerstag beim Besuch in Unterboihingen, Köngen und Nürtingen. Weil der Krankenpflegeverein Unterboihingen dem Weltladen die Räume zur Verfügung stellt, kann der Laden auch mit nur einem Öffnungstag pro Woche bestehen. „Mit 13 Ehrenamtlichen setzen wir im Jahr rund 15.000 Euro um“, sagte Peter Wittemann. Er ist ein erfahrenes Urgestein: Als 1973 in Stuttgart in der Blumenstraße der erste Weltladen Deutschlands eröffnet wurde, war er Gründungsmitglied. Heute sind Utensilien des ehemaligen Ladens im Haus der Geschichte Baden-Württemberg eingelagert.
Auch organisatorisch ist jeder Weltladen anders: Es gibt Vereine und Genossenschaften, in Unterboihingen ist die Katholische Kirchengemeinde Sankt Kolumban der Träger. Bald kann der dortige Weltladen sein 30-jähriges Bestehen feiern. „Es war am Anfang nicht klar, dass wir so lange durchhalten“, sagte Peter Wittemann.
Den Weltladen in Köngen gibt es erst seit zwölf Jahren, aber in bester Lage in der Fußgängerzone. Was interessante Geschenke angeht, hat er sich mangels anderer Anbieter im Ort quasi zum Nahversorger entwickelt und bietet ein breites Sortiment jenseits von Lebensmitteln. Rein ehrenamtlich werden pro Jahr rund 100.000 Euro umgesetzt. Bürgermeister Ronald Scholz lobte diese „Graswurzelbewegung aus der Mitte der Gesellschaft“ und nahm sich ausgiebig Zeit für den Austausch mit den Besuchern. Das Thema „Fairer Handel“ sei heute noch aktueller als 1973, sagte er. Denn leider diene der weltweite Handel nicht der Befriedung der Völker, sondern werde als Waffe für geopolitische Interessen missbraucht.
Ein paar Hausnummern machen sehr viel aus
Welchen Unterschied ein paar wenige Hausnummern machen können, erfuhr die Gruppe in Nürtingen. Seit der dortige Weltladen im April in der Kirchstraße ein paar Häuser weitergezogen ist, ins neue Welthaus, erlebt er deutlich mehr Laufkundschaft als früher. Es kommen nicht nur die bekannten Kenner, die ganz gezielt aufs Kaffeeregal zusteuern, sondern plötzlich auch ganz neue Leute zum Schauen. „Ach, hier gibt es einen Weltladen“ – diesen erstaunten Ausspruch hört das gut 40-köpfige Team immer wieder. Und das, obwohl es den Weltladen Nürtingen bereits seit 1998 gibt.
Ebenfalls schon sehr lange engagieren sich viele Teilnehmer der „Tour de Fair“ für den fairen Handel. Bei Martin Lessing aus Berlin sind es 34 Jahre, bei der Tour fährt er zum 19. Mal mit. Er berichtete bei der Rast im Alten Pfarrgarten in Unterboihingen vom Weltladen in Berlin-Pankow, der – für einen Weltladen außergewöhnlich – vier Hauptamtliche beschäftigt. „Wir haben das Glück, dass uns unser Vermieter vergessen hat“, sagte er. Schon häufig habe sich der Mietvertrag jährlich automatisch ohne Mieterhöhung verlängert. Jedes Jahr gebe es aber ein erneutes Bangen. „Wir haben drüben in Sankt Kolumban eine Madonna, da kannst du eine Kerze anzünden“, gab ihm eine Teilnehmerin als Tipp.
Nicht nur Weltläden
Die Teilnehmer der 22. „Tour de Fair“ hatten aber nicht nur Augen für die Weltläden, sie lernten auch die Gegend kennen. „Fairer Handel fängt für mich vor der Haustür an“, sagte Gudrun Leibold. Deshalb hatte sie im Lenninger Tal auch einen Besuch auf dem Sulzburghof und in der Brennerei Rabel eingeplant. Die Etappen waren so kalkuliert, dass auch Bio-Biker ohne elektrischen Rückenwind mitkamen – aber gut 90 Kilometer nach Reutlingen und zurück durften es schon einmal sein. Zwischendurch machte das Schauen und Kaufen in den besuchten Weltläden Spaß, sei es für Proviant oder für Mitbringsel. In Nürtingen stieß besonders das große Bekleidungssortiment auf Interesse, vor allem bei den Damen. Die größte Bewunderung galt dort aber dem selbstgefertigten „Welthaus“-Stofftransparent an der Außenwand.
Herzlichen Dank an Peter Dietrich, dass er uns seinen Artikel zur Verfügung gestellt hat.
Und jetzt auf zu einer persönlichen Tour de Fair durch die Weltläden hier im Kreis.